Theater

Die Geschichte der Augsburger Puppenkiste

Zwischen Zerstörung und Tod wird aus dem Wunsch nach dem Miteinander eine Idee geboren...

Als Soldat im zweiten Weltkrieg in einer Schule in Calais einquartiert, entdeckt Walter Oehmichen ein kleines Puppentheater. Als er erkennt, dass Puppen sogar Menschen in den hoffnungsärmsten Situationen in den Bann ziehen und zum Lachen bringen können, wächst in ihm der Traum von seinem eigenen Puppentheater. Ein Puppentheater, das, verpackt in einer Kiste, unabhängig vom Ort mitgenommen und überall vorgeführt werden kann. 1943 bauen er, seine Frau Rose und ihre Töchter Hannelore und Ulla somit ihr eigenes Marionettentheater: den „Puppenschrein“. Ein Jahr später, während einer Bombennacht, zerfällt dieser fragile Traum jedoch in Schutt und Asche.

Familie Oehmichen
Eröffnung der Puppenkiste

Doch Oehmichens Wunsch besteht fort und nach Kriegsende wird dieser erneut Realität: Das Heilig-Geist-Spital wird ihm für seine Pläne zur Verfügung gestellt und am 26. Februar 1948 öffnet die Augsburger Puppenkiste mit ihrem ersten Stück „Der gestiefelte Kater“.

Walter Oehmichen, Manfred Jenning und das ständig wechselnde Ensemble inszenieren Märchen, Opern und Dramen. Der Traum vom kistengroßen Theater, das überall hin mitgenommen werden kann, bleibt trotz des schnellen Erfolgs bestehen und so beginnt die Puppenkiste 1951 mit einer Reisebühne beinahe 20 Jahre lang regelmäßig auf Gastspiele zu gehen.

Zuschauerraum der Puppenkiste. (ca. 1950)

Fernseh- und Tourneejahre

In der Stadt selbst gewinnt die Puppenkiste an Beliebtheit, als 1951 das erste Kabarett entsteht, welches bis heute jedes Jahr erneuert in den Spielplan findet. 1953 erscheint die Puppenkiste mit „Peter und der Wolf“ dann erstmals im Fernsehen. Daraufhin folgen Jim Knopf, Kater Mikesch, Urmel und viele mehr, die der Puppenkiste dazu verhelfen, weit über die Stadtgrenzen bekannt zu werden.

Hannelore und ihr Mann Hanns-Joachim Marschall, die 1972 die Leitung des Theaters übernehmen, verwirklichen zahlreiche weitere Filmprojekte, wobei der Großteil der Puppen, die im Fernsehen und auf der Bühne zu sehen sind, von Hannelore Marschall-Oehmichen geschnitzt werden: Über 6000 Marionetten fertigt sie im Laufe ihres Lebens.

Zuschauerraum der Puppenkiste (ca. 1979)
Foyer der Puppenkiste (ca. 1985)

1997 erweist sich als ein besonders großes Jahr für die Puppenkiste – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Noch nie zuvor öffneten sich die Kistendeckel beeindruckender als auf großer Kinoleinwand für den ersten Puppenkisten-Kinofilm „Monty Spinnerratz“.

Ihre durch Fernsehen und Kino erlangte Bekanntheit weitet sich noch aus, als die Puppenkiste ein Jahr später zu ihrem 50. Geburtstag die frühere Gastspieltraditon wieder aufleben lässt: Erst mit klassischen Märchen, bald folgt „Das kleine Känguru und der Angsthase“: Ein mutmachendes Stück, das speziell auf Krankenstationen für Kinder gespielt wird. Weitere Tourneestücke mit pädagogischem Hintergrund finden ins Repertoire und stehen heute wie damals bereit, gespielt zu werden. Mit „Urmels große Reise“ können Fans dann einigen ihrer Fernsehstars von Angesicht zu Schnauze gegenübertreten. Während Tourneen zunächst „nur“ deutschlandweit stattfinden, weitet sich der Radius schon bald aus und so lernt das Urmel ferne Länder kennen wie Japan, den Oman oder Kuwait.

2000 sollte sich dann nicht nur das Jahrtausend wenden. Die Puppenkiste legt eine (örtliche) 180° Drehung hin: Mit einem aufwändigen Umbau werden Bühnenräume und Foyer deutlich vergrößert. Und vielen Fans endlich das ermöglicht, was sie sich schon lange gewünscht hatten – mit der Eröffnung des Museums all ihre Kindheitshelden, wie Jim Knopf, das Sams oder Kalle Wirsch hautnah erleben zu können.

Eine besondere Ehre erfährt die Puppenkiste 2004, als sie mit dem Preis „Goldene Kamera“ ausgezeichnet wird und 2016 macht sie dann noch einmal Bekanntschaft mit der Kinowelt: Drei Jahre in Folge werden in der Adventszeit deutschlandweit Weihnachtsstücke gezeigt.

Zukunft

Seit 1992 führt Klaus Marschall in der dritten Generation den Familienbetrieb. Und ein Familienbetrieb ist es bis heute geblieben. Denn obwohl sein Bruder Jürgen Marschall, der das Bistro leitete und als Puppenbauer nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 2003 in ihre Fußstapfen trat, 2020 verstorben ist, steht Klaus Marschall mitnichten alleine da: Mit Frau und zweien seiner Kinder sorgt er dafür, dass Oehmichens Traum fortbesteht.

Das einzige Mal, dass sich die Kistendeckel nicht wie gewohnt öffnen, ist während der Corona-Pandemie: Von März 2020 bis August 2021 muss das Theater zum ersten Mal seit den Anfängen der Puppenkiste schließen. Mit kleinen Clips schafft sie es, in den Köpfen der Menschen zu bleiben, wozu auch das Erscheinen des Romans „Herzfaden“ von Thomas Hettche hilft.

75 aufregende Jahre Augsburger Puppenkiste liegen zurück. Wie viele noch vor ihr liegen? Das weiß niemand. Nur eines ist gewiss: Mit mehr als 400 jährlichen Vorstellungen und einer Auslastung von 98% träumt es sich noch immer gut.

Zuschauerraum aktuell